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Simon Laks

Simon Laks und seine Lieder

Laks glaubte, wenn etwas aus seinem kompositorischen Œuvre das Potenzial zum
Überleben haben würde, wären es seine Lieder. Ironischerweise ist es nun gerade sein
Liedschaffen , dessen Wiederentdeckung am längsten gedauert hat (mit Ausnahme
vielleicht der Acht jüdischen Volkslieder, die sich seit ihrer Entstehung 1947 einer anhaltenden

Popularität erfreuen). Das liegt zum einen daran, dass die Gattung seit
einigen Jahrzehnten von den Konzertveranstaltern zunehmend stiefmütterlich
behandelt wird. Zum anderen natürlich daran, dass das Polnische, die Sprache der
Mehrzahl seiner Lieder, keine Lingua franca des internationalen Musiklebens ist. So hat
es viele Jahre gedauert, bis mit Ania Vegry und Katarzyna Wasiak die idealen
Interpretinnen für dieses faszinierende Korpus an Liedern gefunden waren, das man zu
den bedeutendsten des 20. Jahrhunderts zählen möchte – aufgrund der
herausragenden Qualität der Musik und der Texte (die von Laks vertonten Dichter
zählen zu den wichtigsten Poeten polnischer Sprache im 20. Jahrhundert); bedeutend
vor allem aber vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die in diese Lieder eingeflossen
sind – Erfahrungen, die sie zum Zeugnis eines zutiefst bewegenden Humanismus
machen.

 

Dem polnisch-jüdischen Komponisten Simon Laks ist aufgrund seiner Abstammung
internationale Anerkennung lange verwehrt geblieben. Dieses Los verbindet ihn mit
einigen anderen bedeutenden Tonschöpfern derselben Herkunft und derselben, um die
vorletzte Jahrhundertwende geborenen Generation. Obwohl Laks zu Lebzeiten nicht ohne
Erfolg war, ist die Aufarbeitung seines Schaffens erst in den letzten Jahren geschehen,
vor allem durch die Herausgabe der unveröffentlichten Werke und die Neuausgabe
längst vergriffener Editionen als Grundlage für ihre aktive Rezeption. Die Würdigung der
polnischen Musiker, die zwischen 1939 und 1945 Opfer des Nazi-Terrors wurden, stand
und steht nach wie vor im Schatten der Wiederentdeckung der sogenannten
„Theresienstädter Komponisten“, jener tschechischen Musikerelite, die durch ihr
Wirken im „Vorzeigelager“ der Nazis zu posthumer Berühmtheit gelangte und deren
Werke im heutigen Musikleben eine Rolle spielen. Heraus aus diesem Schatten trat
Mieczysław (Moishe) Weinberg. Sein Fall scheint die bekannte Ausnahme von der Regel
zu sein. Allerdings wird er eher als sowjetischer denn als polnischer Komponist rezipiert.
Das lässt sich biographisch und stilistisch durchaus begründen. Laks aber teilt das
Schicksal mit Waghalter, Tansman, Strasfogel, Fitelberg (Vater und Sohn), Rathaus und
Kletzki, die sich ins amerikanische Exil retten konnten; teilt es mit den in der Shoah
umgekommenen Mendelson und Koffler, mit den durch eine unendliche Reihe von
Wundern und durch die Zivilcourage ihrer Landsleute geretteten Szpilman, Kassern und
Tchaikowsky; Schicksal meint: das nahezu völlige Ignoriert-Werden im heutigen
Musikleben.

Frank Harders-Wuthenow, September 2020

Andre Laks,
Sohn des Komponisten

Die Dichter meines Vaters

Am 18. Februar 1964 schrieb mein Vater an Claude Aveline: "Während ich mich darauf freue, Sie nächsten Samstag zu sehen, kann ich nicht dem Drang widerstehen, Ihnen zu sagen, wie sehr mich Ihr ‚nicht existierender Vogel‘ – in dem Maße, wie ich mich ihm musikalisch nähere – gefangen nimmt (ich arbeite im Moment daran). Ich weiß nicht, wie Sie ihn sich vorgestellt haben – ob es für Sie nur ‚ein Vogel‘ oder ein universelles Symbol ist –, aber für mich ist es angesichts der Erfahrungen, die ich hinter mir habe, eine verblüffende Bestätigung für ‚alles‘, was nur im Wahn des Schöpfers existiert".
Drei Wochen später, am 6. März, kündigte mein Vater ihm die Fertigstellung der Partitur an: „Der-Vogel-Der-Nicht-Existiert existiert“. Er bemühe sich darum, ihn ihm „gut interpretiert, in seiner ganzen Nicht-Existenz“, zu Gehör zu bringen. Und er fügte als Postskriptum hinzu: „Ich sehe diesen "Vogel" als etwas, das vom Rest Ihrer Gedichte unabhängig ist.“
Das Thema sollte eine erstaunliche Entwicklung nehmen. Ein Jahr später komponierte mein Vater eine Oper, deren Libretto auf einem Hörstück von Aveline basiert, die Opéra bouffe L’Hirondelle inattendue, in der es auch um einen singenden Vogel mit dem Wunsch nach Existenz geht. Eine ausgiebige Korrespondenz erlaubt es, ihre Zusammenarbeit über die folgenden Jahre nachzuvollziehen. Über 60 Briefe meines Vaters an Aveline aus dieser Zeit befinden sich im Fonds Claude Aveline in der Stadtbibliothek von Versailles.  
Diese Briefausschnitte gehören zu den wenigen Aussagen meines Vaters über seine Lieder, den Teil seines Œuvres, von dem er überzeugt war, dass er ihn überleben würde. Sie bestätigen, dass er seine Texte im Hinblick auf ihre Aussage sorgfältig auswählte.
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